Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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(Un)Vereinbarkeit: Wie das »Business-Festival« re:publica Menschen mit Kindern bewusst ausschließt

25. März 2015 by ccm

In der »Ansage zur Vielfalt« der Blogger-Konferenz re:publica heißt es:

Eine Gesellschaft lebt von der Vielfalt ihrer Mitglieder – das gilt erst recht auch für die digitale Gesellschaft! Deshalb ist die re:publica eine Konferenz, die die Andersartigkeit feiert und keinen Menschen aufgrund von Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung, Aussehen, Hautfarbe, Herkunft oder Religion ausgeschlossen wissen möchte.

Ich möchte hiermit eine Änderung vorschlagen: Fügen wir den Nebensatz ein, dass Menschen mit Kindern doch ein bisschen zu anders sind, um teilzunehmen. Warum? Nach der re:publica 2014 wurde nicht zuletzt durch die verstärkte Teilnahme von ElternbloggerInnen öffentlich darauf hingewiesen, dass die Veranstalter gut daran täten, eine Kinderbetreuung anzubieten. Es wurde Besserung gelobt. Nichts besserte sich.

Menschen mit Kindern müssen für die Teilnahme an einer Konferenz oft großen organisatorischen Aufwand betreiben und ggfls. auch Geld für die Betreuung ihrer Kinder investieren. Diese Herausforderung kann vor unlösbare Aufgaben stellen. Doch diesen Menschen kann geholfen werden. Das Stichwort lautet: Vereinbarkeit. Es geht darum, Menschen mit Kindern den Zugang zum öffentlichen Diskurs und beruflicher Weiterbildung zu bieten. Eine Konferenz ist ein Ort an dem öffentlicher Diskurs stattfindet und berufliche Weichen gestellt werden können. Sie ermöglicht nicht nur das nette Plauschen bei einem Getränk, sondern auch gesellschaftliche Teilhabe. Eltern sind Teil der Gesellschaft.

Schon bei Familien mit zwei Eltern ist die Organisation einer Konferenzteilnahme schwierig und die Frau muss zurückstecken, denn – sind wir ehrlich – noch immer bleibt die Kinderbetreuung meistens an ihnen hängen. Für alleinerziehende Eltern und häufig eben Mütter bedeutet es Exklusion, wenn eine Konferenz ihnen keine Möglichkeit einer freundlichen Kinderbetreuung anbietet.

Das Problem greift sogar noch tiefer. Nach der diesjährigen transmediale habe ich darauf hingewiesen, dass Konferenzen, die Kinder nicht thematisch einbinden, losgelöst von zukünftigen Generationen Themen verhandeln. Sie verschenken wichtige Chancen, diese Generationen einzubinden. Sie nehmen ihnen die Möglichkeit, sich zu artikulieren. Zugleich verpassen sie, jungen Menschen ihre eigenen Anliegen darzulegen. Gerade für Tech- und Netz-Konferenzen, die schon immer einen futuristischen Anstrich haben, wirkt das nahezu paradox.

Die re:publica macht all diese Fehler. Sie macht sie bewusst und lernt nicht daraus. Bereits 2014 wurde sie freundlich darauf hingewiesen.  Eltern und PädagogInnen boten konkrete Hilfe an. Es wurde von den Organisatoren im Mai 2014 klar kommuniziert, dass man sich für die re:publica 2015 um eine Lösung kümmert:

@peate @fraumierau Sind ja schon am planen, aber: Alles nicht ganz profan. Werden aber eine Lösung finden.

— Johnny Haeusler (@spreeblick) May 15, 2014

@peate @fraumierau Wie viele werden kommen, wie alt sind sie, wie groß muss der Raum sein, Versicherung, Personal … wir machen das schon. 🙂

— Johnny Haeusler (@spreeblick) May 15, 2014

Passiert ist: nichts. Auf wiederholte Nachfrage wurde per E-Mail mitgeteilt:

Im Team machen wir uns schon länger Gedanken darüber und überlegen was platz- und finanzmäßig umsetzbar ist. Bisher haben wir als Business-Festival keine nachhaltige Infrastruktur für einen Kidsspace entwickelt und auch keine Erfahrung wie z.B. relevante, pädagogische Inhalte für die Kids angeboten werden können.

Offenbar hat ein Jahr intensives Nachdenken eines Teams, das eine 5000-TeilnehmerInnen-Konferenz mit einem Budget von einer Million Euro organisiert, keine Lösung für die Inklusion von Eltern und Kinder gefunden. »Kidsspace« als Raketenwissenschaft. Apropos Rakete: Der Chaos Computer Club zeigt mit dem »Chaos Communication Congress« seit Jahren, wie Vereinbarkeit auf einer der größten Konferenzen Europas geht. Kinder und Jugendliche werden aktiv in das Konferenzprogramm eingebunden. Ein großer Spielbereich macht nicht nur den Kindern Spaß. Oder um es in den Worten einer Teilnehmerin zu sagen:

Aber nicht nur im Kinderbereich ging es mit dem kleinen Kind gut. Ich hatte nie und nirgends das Gefühl, dass Kinder stören könnten. Im Gegenteil. Es gab unglaublich viele Leute, die auch den kleinen Kindern geduldig technische Geräte erklärten, mit ihnen zusammen stundenlang irgendwelche ferngesteuerten Viecher durch die Gegend laufen ließen, mit den Kids (oder auch ohne) im Bällebad untertauchten und sich mit Bällen bewarfen.

Geht doch. Ähnlich sieht es auch beim Barcamp Berlin aus. Dort heißt es:

Damit wirklich jeder teilnehmen kann, bieten wir für die Eltern unter euch eine Kinderbetreuung an. Bring deine Kinder einfach (nach Voranmeldung mit) und wir werden uns um sie kümmern während du am Barcamp teilnimmst.

Sollte Kinderbetreuung vielleicht doch keine Raketenwissenschaft sein? Vielleicht hätte man ja einfach unter Veranstalter-KollegInnen fragen können. Sich aber darauf auszuruhen, nach einem Jahr Bedenkzeit noch keine Lösung gefunden zu haben, heißt nur eins: Es ist dem »Business-Festival« einfach fürchterlich egal. Es ist jetzt zu spät, um noch ernsthaft etwas zu unternehmen, ohne dass es eine halbherzige Notlösung wird. Kommt in Scharen, junge kinderlose Menschen und Familien mit traditionell verteilten Rollen.  Die restliche Vielfalt kann ja den Stream schauen. Ist eh entspannter auf dem Gelände ohne das ganze Kindergeschrei.

p.s.: Es gibt bereits eine Initiative einiger ElternbloggerInnen, während der rp15 ohne die Veranstalter eine externe Kinderbetreuung und Ruheraum mit Möglichkeit zur entspannten Kommunikation für Eltern zu schaffen. Wenn das klappt, wird es noch entsprechend angekündigt. Schade, dass dieser Aufwand nötig ist.

tl;dr: Vielfalt ist kein Modewort.

Disclaimer: Ich bin mit der Autorin des auf geborgen-wachsen.de verlinkten Artikels verheiratet.

Bildnachweis: Das Bild “I would have played the !@#$% out of this playground if I were five.” stammt vom Flickr-Nutzerin Connie Ma und steht unter einer CC-BY-SA-Lizenz (nachbearbeitet).

Update: Es gibt einen Kommentar von der re:publica, der auch auf der re:publica-Webseite veröffentlicht wurde.

Filed Under: Allgemein

Comments

  1. Steve Rückwardt says

    25. März 2015 at 10:26

    Schade, dabei gab es doch nach der #rp14 einige sinnvolle und gute Ideen dazu, wie man dies hätte umsetzen können: http://steve-r.de/2014/05/kinder-familien-republica/

    Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass man dies zumindest im Ansatz aufgreift. 🙁

  2. Dentaku says

    25. März 2015 at 10:35

    Ja, wirklich schade. Die ganzen “kleinen” Barcamps schaffen das inzwischen auch (hab selbst welche mitorganisiert, und es war gar nicht so schwer).

  3. Lasse says

    25. März 2015 at 10:57

    Das Beispiel ccc ist hier leider fehl am Platz. Die Kinderbetreuung dort wird von besuchenden Eltern selbst organisiert und durchgeführt. Die Kongressorganisation hat dort afaik auf Anfrage den Platz zur Verfügung gestellt und evtl. auch geringe finanzielle Mitte für Bastelmaterialien etc.

    tldr: Eltern ham beim ccc gemacht und nicht gefordert

    • ccm says

      25. März 2015 at 10:59

      Eltern wird vom Congress Raum und Zeit zur Verfügung gestellt. Der re:publica wurde – wie im Artikel dargelegt – von Eltern und PädagogInnen ein Jahr lang Hilfe angeboten. Es gab nicht einmal das Angebot, einen Raum nutzen zu können.

    • stk says

      25. März 2015 at 12:28

      Das Beispiel Congress halte ich so gar nicht fuer fehl am Platz. Es geht darum, den Raum und die Bedingungen zu schaffen, damit $dinge stattfinden koennen. Das faengt beim Ticketpreis an, und endet noch lange nicht bei der schieren _Zurverfuegungstellung_ von Raum und Moeglichkeiten, damit ein selbstorganisierter Kinderraum ueberhaupt stattfinden _kann_.

      Ich muss ja zugeben, zuerst die re:publica und erst einige Jahre danach erstmals den Congress kennengelernt zu haben. Den Kontrast fand ich gleichermassen beeindruckend wie betrueblich, schon ganz allein die Rolle der Engel vs. rp-Helfer_innen. Dass auf der re:publica wenn ueberhaupt dann ein „Service“ ins Rennen geschickt werden soll, dessen man sich dann bedienen kann, passt dann leider zu gut zum Selbstverstaendnis, kein Raum fuer Moeglichkeiten zu sein, sondern ein „Business-Festival“ :/

  4. N-te says

    25. März 2015 at 11:29

    Das Problem ist immer diese Panik nach Versicherung und wenn was passiert. Auf der FrOSCon (~1.500 Bersucher) gibt es seit Jahren eine Kinderbetreuung und einen Kinder- und Jugendtrack (FrogLabs). Das Programm für letzteres war erstaunlich einfach auf die Beine gestellt, da es viele Angebote von Leuten für Kids gibt (Midstorms-Roboter fahren, OSM kennenlernen beim Geocaching, …). Dort wurde das in den ersten Jahren mit nur wenigen Euro finanziert. Mittlerweile gibt es mit den Teckids sogar einen Verein der genau so etwas veranstaltet und das auch noch von-Kindern-für-Kinder!

  5. Till says

    25. März 2015 at 11:30

    Apropos: Auch Bundesparteitag der Grünen (~ 1000 TeilnehmerInnen) schaffen es, eine Kinderbetreuung zu organisieren.

  6. dasnuf says

    25. März 2015 at 11:39

    Ich empfinde das ganz genau wie du und verstehe es auch nicht ganz.
    Es gibt auch noch andere Aspekte zum Thema Vereinbarkeit wie z.B. die diesjährige Zu- und Absagevorgehensweise.
    Ich war z.B. auch in der 3. (4.?) Welle der Zu- und Absagen dabei und mir ist es leider nicht möglich als Getrennterziehende mit extrem wenig freier Zeit einen Vortrag vorzubereiten, wenn ich so wenig Vorlauf habe.
    Also habe ich meine Einreichung zurück gezogen.
    Das hätte ich mir auch anders gewünscht.

    Es geht eben nicht um ein komplettes Rundumsorglospaket sondern die Frage, was kann man im Kleinen beitragen, um Kinder zu integrieren. Und da hätte wirklich was passieren können.

    By the way: Interessant, dass aus der Bloggerkonferenz eine Gesellschaftskonferenz wurde, die sich jetzt Business-Festival nennt…

    • Silke says

      27. März 2015 at 12:18

      das ist nicht interessant, das ist traurig. 😉

  7. Andreas Gebhard says

    25. März 2015 at 14:10

    Lieber Caspar Clemens, liebe Susanne Mierau.

    Mit den Kids zur re:publica. Geht nicht? Geht doch!

    Wir glauben, dass es auf der re:publica spannende Dinge für Kinder zu entdecken gibt. Das mag ein 3-D-Drucker sein, Rumkrabbeln über den Affenfelsen oder für die älteren Hands-On-Projekte im Makerspace.

    Auch dieses Jahr haben Jugendliche bis 16 Jahren wieder freien Eintritt zur re:publica. Und neben den obligatorischen Wickeltischen, versuchen wir Euch zur #rp15 noch mehr Kidsflächen zur Verfügung zu stellen und diese auch noch einmal besser auffindbar zu machen.

    Weil wir wissen, dass die Verantwortung bei den Thema groß ist und wir bisher noch keine Erfahrungen mit Kinderbetreuung im Rahmen der re:publica haben, werden unsere Bemühungen wie auch in den letzten Jahren weiter ausgebaut. Was wir dieses Jahr nicht leisten, ist eine dauerhafte Kinderbetreuung. Wir unterstützen aber (und das haben wir Euch auch gesagt) die Selbstorganisation mit Raum und Fläche. Dieses Jahr werden wir auch zum ersten Mal eine AnsprechpartnerIn haben die Euch bei der Selbstorganisation unterstützt (nur zur Sicherheit: keine Betreuung sondern DIY).

    Deutlich geworden ist, dass gerade Eltern sich immer mal wieder nach einer ruhigen Ecke sehnen – sei es zum Stillen, zum Trösten, zum Vorlesen oder auch einfach zum runterkommen. Wir haben Eure Anmerkungen aus dem letzten Jahr ernst und aufgenommen und auch dieses Jahr im Team lange überlegt, wie wir die #rp15 gestalten, dass sie diesen Bedürfnissen noch besser entspricht. Dazu gleich auch ein Dankeschön für Eure Anregungen & Eure Beständigkeit, die uns helfen, das Thema gebührend und nachhaltig einzubinden!

    Was wir zur #rp15 leisten können sind solche geschützten Orte, an denen Kinder spielen und in dessen Nähe Eltern in Ruhe ein Kaffee trinken können. Es wird also einen Raum geben (mit Ausstattung) in dem sich Eltern mit ihren Kids aufhalten können. Für eine Spielfläche im Innenhof und einem Rückzugsort im Innenraum sind wir bereits mit einigen von Euch und Partner im Gespräch.

    Der GIG Makerspace bietet seit seiner Gründung vor drei Jahren vielfältige und kreative Möglichkeiten Technologie zu entdecken und noch besser: selbst zu bauen & zu experementieren. Neu für die #rp15 kreieren wir gerade hands-on workshops speziell für Kinder. Wann & was genau erfahrt hier sobald das Programm steht.

    Weiteres Programm ist geplant.

    Wir halten Euch auf dem laufenden und erweitern diesen Post auf unserer Webseite unter „About“, also schaut gerne ab und zu dort rein!

    • Mia says

      27. März 2015 at 12:52

      Das DIY-Konzept ist genau das, was ich mir für eine solche Konferenz für unsere Kinder vorstelle. Ich glaube der Autor vermengt hier persönliche Interessen mit realistischen Ansprüchen an eine solche Veranstaltung.

      • ccm says

        27. März 2015 at 14:50

        Die Bekanntgabe des DIY-Konzepts erfolgte Stunden nach diesem Blogpost – nach einem mehrmonatigen hin und her. Ich freue mich, dass es jetzt diese Bestrebungen gibt, sehe die Bekanntgabe aber als Reaktion auf diesen Blogpost. Zudem ist es schwierig, ein solches Konzept so spät bekannt zu geben, da es für viele bei Ticketkauf nicht planbar ist. Ich würde eine tatsächliche Kinderbetreuung als Angebot begrüßen – andere Konferenzen und Barcamps schaffen das auch – bin aber schon erfreut, dass nun Raum geschaffen wird. Das ist gegenüber dem Vorjahr ein deutlicher Schritt nach vorn.

        Persönlich bin ich nicht auf die Kinderbetreuung angewiesen, werde aber die Räume gern mit meinen Kindern in Anspruch nehmen.