Edward Snowden ist Projektionsfläche. Jürgen Geuter hat gerade in einem Vortrag auf die religiöse Komponente des Märtyrertums bei Whistleblowern hingewiesen. Da passte es perfekt, als in der Morgenandacht im Deutschlandfunk (11.2.2015) nun auch kirchlich offiziell der Bogen zum Prophetentum geschlagen wird. Interessant ist Dramaturgie im Text, die Snowden zunächst bewusst nicht als Prophet bezeichnet, um dann mit der klaren Aussage “Propheten verdienen unseren Schutz” zu enden.
Die Andacht kann online nachgehört werden:
Ich habe den relevanten Teil der Andacht transkribiert:
Niemand würde Edward Snowden einen Propheten nennen. Man bezeichnet ihn als Whistleblower. Wörtlich übersetzt ist das jemand, der in die Pfeife bläst. Meist wird dieser Begriff mit dem Wort „Hinweisgeber“ übersetzt. Doch das ist schon wieder sehr nah am Profil des klassischen Propheten. Ein Prophet will auch nichts anderes sein als ein Hinweisgeber. Er will den Willen Gottes unter die Leute bringen. Er will sie warnen, wenn sie sich auf Abwegen befinden. Er versucht, sie wieder auf die richtige Spur zu bringen.
Snowden geht es nun nicht um ein prophetisches Gotteswort, aber auch seine Botschaft zielt aufs Ganze. Auch er will sein Volk davor warnen, in den Abgrund zu rennen. Zum Jahreswechsel lief der Film „Citizen Four“ in den Kinos. Dieser Streifen dokumentiert Szene für Szene die Aktionen, mit denen Edward Snowden weltweit Aufsehen erregte. Er hat es nicht als „Gotteswort“ bezeichnet, was ihn auf den Weg brachte, aber es war der von seinem Gewissen ausgelöste Impuls, all das an die Öffentlichkeit zu bringen, was er in seinem Job als Zuarbeiter für die NSA erfahren hatte. Was ist das für ein Mann, der das tut?
Diese Frage will der Dokumentarfilm von Laura Poitras beantworten. Zusammen mit Glenn Greenwald begleitet sie Edward Snowden auf seinem Weg in den Untergrund – beziehungsweise in die weltweite Popularität – je nachdem, wie man es betrachtet. Als IT-Spezialist hat Snowden miterlebt, wie die NSA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 immer mehr Kompetenzen an sich zog. Wie der Geheimdienst mit seiner elektronischen Überwachung ein Netz über die ganze Welt legte, um alle verdächtigen Daten abzuschöpfen und auszuwerten. Darin aber sieht Snowden eine Gefahr. Für die Freiheit des Einzelnen genauso wie für die Grundlagen der westlichen Demokratie. Weil am Ende niemand mehr das grenzenlose Abschöpfen und Verknüpfen der Datenströme steuern kann.
„Citizen Four“ ist der Codename unter dem Snowden die Veröffentlichung seines Geheimmaterials organisiert. Mit einem Interview in einem Hotelzimmer in Hongkong setzt der Film ein und schnell ist man mittendrin. Der Telefonstecker wird gezogen, die Verschlüsselung des Computers wird überprüft, die Regeln der Kommunikation werden verabredet. Snowden wirkt sehr jung und strahlt nichts Heldenhaftes aus. Er klagt über seine Appetitlosigkeit und die Ängste, die ihn plagen. Er spricht aber auch über seine Entschlossenheit und die Notwendigkeit, die Öffentlichkeit vor dem staatlich organisierten Datenmissbrauch zu warnen.
Zurzeit lebt Snowden mit seiner Freundin im russischen Exil. Ob sein Leben ein tragisches Ende finden wird, wie das vieler Hinweisgeber in der Bibel, ist noch nicht ausgemacht. Immerhin hat sich Snowden mit seinem Bekennermut auch Freunde gemacht. So verkündet der Aufkleber an der Tür meines Nachbarn, dass ein Bett für ihn frei sei. Nachdem ich diesen anderthalbstündigen Film gesehen habe, würde es auch mir nicht schwerfallen, ihm ein Quartier anzubieten. Propheten verdienen unseren Schutz. Damals und heute.
In diesem Sinne: Amen.
Und weil es so gut passt:
(Screenshot, Quelle)
Ich nehme an, der Film “Citizen Four” ist hier bekannt. Dann dürfte auch klar sein, dass Edward Snowden nie “Märtyrer”, “Held” oder “Prophet” sein wollte. Deshalb die Frage: Warum tust du deine Polemik diesem Menschen an?
Es geht hier explizit nicht um Snowden, sondern um die Rezeption von Snowden. Ich bin Medienkulturwissenschaftler und beschäftige mich damit, wie Dinge gesagt, wie sie nicht gesagt werden, und so weiter. Ich verstehe, wenn sich das vielleicht nicht gleich erschließt. Ich sammle aktuell verschiedene Narrative, die in einem Märtyrer- oder Kult-Kontext stehen. Den Film Citizen Four habe ich bisher noch nicht gesehen, werde diesen aber auch erstmal als kulturelles Produkt betrachten und nicht als reine Abbildung von Realität. Danke für die der Erinnerung, das bald nachzuholen.