Unauffällig liegt es irgendwie zwischen “Jerry Cotton” und “Die wilde Rose, Romane für Frauen” – das Perry-Rhodan-Heft. Nachdem bereits vor zwei Wochen der Spiegel mit “Kosmos im Kopf” auf das anstehende Jubiläum hinwies, konnte ich nicht umhin, die Groschenroman-Scheu zu überwinden und ein paar Hefte zu erwerben.
Dabei zeigte sich, dass es weitaus peinlicher ist, ein Rhodan-Heft als irgend eine noch so anzügige Zeitschrift zu kaufen: Selbst die komplette Sex-Palette wird in nahezu jedem Zeitschriftenladen unverfänglich zentral präsentiert, während es für wöchentliche Romanhefte, wenn überhaupt geführt, eine stille Ecke gibt, die man mit leicht gerötetem Kopf erfragen muss. “Haben Sie den aktuellen Perry Rhodan?” – “Da hinten irgendwo.” Da hinten irgendwo also, neben all den anderen gleichformatigen Heften. Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier Äußerlichkeiten einen Bezug herstellen, dem die inneren Werte hoffentlich nicht entsprechen.
Man stellt fest, dass man trotz fehlender hunderter Hefte recht gut in die Lektüre einsteigen kann. Dabei gilt es zu entscheiden, ob man ältere Hefte lesen möchte, die alle zwei Wochen im Doppelband in der derzeit fünften Ausgabe erscheinen, oder direkt in die Erstauflage springen möchte. Perry Rhodan, so erfährt man, ist im weitesten Sinne eine Fortsetzungsgeschichte, die sich über hunderte und tausende Jahre erstreckt. Verschiedene Autoren wechseln sich bei den Heften ab und so unterscheidet sich die Qualität von Sprache und Dramaturgie durchaus von Heft zu Heft trotz direkt anschließender Handlung. Um dieser auch bei einem Quereinstieg folgen zu können, empfiehlt sich ein Blick auf die über 10.000 Einträge starke Perrypedia, die allein durch ihr gewaltiges Volumen eine Ahnung dessen entstehen lässt, was in 2400 Heften alles beschrieben werden kann. (Zweitausendvierhundert – wie viel Meter das wohl sind?)
Erleichtert wird – auch der heutige Einstieg – durch die Organisation der Geschichte in Zyklen, die als inhaltlich und zeitlich relativ abgeschlossene Handlungsstränge gesehen werden können. Um zum 2400sten Heft neue Leser gewinnen zu können, startet mit dem heute erscheinenden “Zielzeit” benannten Heft ein neuer Zyklus, der nicht zwangsläufig eine Lektüre der 2399 vorhergehenden Hefte voraussetzt. Und genau hier ist ein Knackpunkt der Rhodan-Hefte: Sie führen eine endlose, intergalaktische und bedrohliche Geschichte von Zerstörung und Rettung fort, jedes Heft steht nahezu am Ende des Universums und dennoch darf man mal etwas verpassen. Das erinnert zugegebener Maßen an das Prinzip von Soap-Operas: Nichts darf sich verändern, alles muss sich wiederholen. Doch das muss nicht schlecht sein, es legt eben nur einen Arbeitsmodus der Hefte frei.
Inhaltlich erinnern die Hefte recht angenehm an osteuropäische Science-Fiction: Gemischte Rassen, sprechende Pflanzen, interstellare Bewusstseinserweiterungen – alles wird früher oder später mit einer eigenen Wissenschaftlichkeit erklärt, die eine gewisse Glaubwürdigkeit im bereiten Leser produziert. Um in diesem Gefüge das Überleben Perry Rhodans zu erklären, verweist der Spiegel-Artikel auf die Tatsache, dass er unsterblich, aber nicht unverwundbar ist:
Eines dieser Wesen, dessen Macht nahezu gottgleich erscheint, offenbart sich als Verbündeter der Menschheit und verhilft Perry Rhodan schließlich zur relativen Unsterblichkeit. Relativ deshalb, weil er von nun an zwar nicht mehr altert, aber dennoch jederzeit bei einem Unfall oder einer Auseinandersetzung umkommen könnte: Unsterblich aber nicht unverwundbar.
Quelle: Spiegel.de
Immerhin 100.000 Leser verfolgen das Spektakel jede Woche und, so man sich denn als Science-Fiction-affin bezeichnet, das größte Argument, dass gegen eine wöchentliche Lektüre der Hefte spricht, ist vielleicht, dass die Endlosgeschichte doch im Verdacht steht, durch die fehlende Katharsis, das fehlende und befreiende Ende, auf das alles zuläuft, doch nur Zeitvertreib statt zielgerichtetes Lesen zu sein. Immerhin aber scheint diese zeitgenössische deutsche Literatur wie der Fernseh-Tatort ein gesellschaftlicher Spiegel zu sein, der aktuelle Strömungen, seien es Kalter Krieg oder Terrorismus (?), verarbeitet und dem Leser in Science-Fiction-Manier phantastische Lösungen anbietet.
Wehmutstropfen für den Kauf eines Heftes: Von wissenschaftlicher Seite bescheinigt man der Leserschaft eine überdurchschnittliche Intelligenz, ja Genialität:
Dr. Rainer Stache, der 1986 über Paraliteratur am Beispiel Perry Rhodans habilitierte, bescheinigt der PR-Leserschaft ein überdurchschnittliches Maß an Intelligenz: “Es gibt ein unglaubliches intellektuelles Potential im Kreis der PR-Leser. Das sind alles kleine Universalgenies.”
Quelle: Spiegel.de
Na dann: Mit stolzgeschwellter Brust in die staubige Ecke im Laden um die Ecke gehen und einfach mal probieren. Und wenn man nur ein Heft liest: Man weiß danach, was das ist – dieses Perry-Rhodan-Dings.
Die angesprochenen “wieviel meter das wohl sind” findet man hier berechnet:
http://www.rp-online.de/hps/client/opinio/public/pjsub/production_long.hbs?hxmain_object_id=PJSUB::ARTICLE::483801&hxmain_category=::pjsub::opinio::/buch_film/zeitschriften
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