Ich habe hier circa ein Dutzend halb fertige Blog-Artikel zu mehr oder minder hochtrabenden Themen rumliegen. Naturgemäß werden sie nicht fertig. Ein Fragment ist ein Fragment ist ein Fragment. Ich weiß nicht, ob es einen „Pile of Shame“ für angebrochene Texte gibt. Vielleicht sollte man ihn „Pile of Life“ (Was eben so dazwischenkommt) oder „Pile of Oh, ein Eichhörnchen“ nennen?
Jedenfalls ist der älteste halbe Blog-Artikel eben jener, der fundiert erklärt, woher der Begriff Blog eigentlich kommt. Es gibt viel Medienhistorisches dazu zu sagen und Schiffe und Knoten kommen auch drin vor. Spannend eigentlich, nur eben nicht fertig. Aber wichtiger an dieser Stelle ist die Erkenntnis, dass das Blog eben mal das Web-log war, bei dem eher alltäglich berichtet und interessante Links geloggt wurden. Und während ich anderen immer rate, lieber einen kleinen Artikel zu veröffentlichen, statt einen großen nicht fertig zu schreiben, halte ich mich natürlich selber nicht an meine eigenen Ratschläge. Zumindest an diesen nicht.
Dabei gibt es diese halben Gedanken, die man festhalten will. Viele davon landen in meinem Zettelkasten, der seit Jahren stetig wächst – ein anderer halber Blog-Artikel. Gerade habe ich dort folgenden Fund in einer „fleeting note“ für die weitere Bearbeitung festgehalten:
Im Interview mit der taz erklärt der jüngst aus dem Amt geschiedene Chef der Bundeszentrale für politische Bildung Thomas Krüger zum
Die Demokratie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt – von der repräsentativen zur diskursiven und aktuell zur disruptiven Demokratie.
Mich überraschte dieser irgendwie nebenbei gebrachte Satz, denn er beschreibt sehr nüchtern große Änderungen – mit Begriffen, die ich in diesem Kontext noch nicht wahrgenommen habe. Was Diskurs und Disruption sind, ist mir klar. Unter diskursiver und disruptiver Demokratie als Alternativen zu einer repräsentativen kann ich mir zunächst weniger vorstellen.
Wenn ich es nach einer kurzen Recherche richtig verstehe, ist „diskursive Demokratie“ bei Krüger eher als Synonym für den etablierteren Begriff „deliberative Demokratie“ zu verstehen. Also eine Demokratie, die auf Austausch und argumentative Verständigung setzt – nicht im foucaultschen Sinn von Diskurs als Machttechnik. Mir war das neu, aber es gibt diverse Texte und einen Wikipedia-Artikel dazu, die umreißen, dass diese Form der Demokratie auf den öffentlichen Austausch setzt, bei dem im breiten (und nicht nur repräsentativen) Diskurs das beste Argument gewinnt. Mich erinnert es an die Liquid Democracy Versuche der Nullerjahre, die eine Verdichtung des politischen Augenblicks waren, und die kurzen Momente eines guten Austauschs über Blogs, Twitter usw. Kurz erhoffte man sich, dass die Netzutopien der 90er-Jahre vielleicht in Erfüllung gehen. Alternativ ließe sich der Diskurs hier als die allgemeine Medienöffentlichkeit lesen.
Ich will es nicht retrospektiv verklären, nur beschreiben, was ich als die von Krüger erwähnte Zwischenphase vermute. Aber diese Epoche bleibt für mich in dieser zeitlichen Abfolge etwas nebulös, zugleich aber auch weniger interessant als die „disruptive Demokratie“. Auf Nachfrage zum Interview hat die bpb auf Mastodon auf einen Artikel des Soziologen Steffen Mau verwiesen, der Disruption als „Die Revolution der Erschöpften“ erklärt. Darin heißt es:
Es sind vor allem angestaute Gefühle wie Ressentiment, Wut und Unzufriedenheit, die dazu führen, dass Disruption als verheißungsvolles Versprechen erscheint. Diese gibt es vor allem bei jenen, die veränderungsmüde sind, die den sozialen Wandel als stressig empfinden und ihm mit einem Gefühl der Ohnmacht begegnen.
[…]
Veränderungserschöpfung und Disruptionslust damit sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille. Es gibt ein Verlangen danach, sich unbequemer und herausfordernder Problemlagen mit einem Befreiungsschlag zu entledigen. Es gibt den Wunsch, aus den eingefahrenen Gleisen herauszuspringen. Disruption erfüllt also die Sehnsucht nach einem Ausstieg aus einer verkorksten und komplizierter werdenden Welt, in der einem immer mehr Veränderungen zugemutet werden. Es steht für einen politischen Eskapismus, wenn die Verhältnisse zu unübersichtlich werden.
Diese Erklärung funktioniert für mich gut als dialektischer Aufschlag, das Verlangen nach Veränderungen mit dem Wunsch nach weniger Veränderungen zu begründen. Ich muss nicht lange nach Beispielen suchen, um Veränderungen mit den disruptiven Gegenschlägen zu kontrastieren. Zugleich tue ich mich weiterhin schwer mit der zeitlichen Abfolge, die Krüger aufgemacht hat. Vielleicht, weil Repräsentation, Diskurs und Disruption völlig verschiedene Mechanismen beschreiben, die letztlich auch gleichzeitig stattfinden können. Disruptive Demokratie strapaziert mir an dieser Stelle zu sehr den Begriff Demokratie. Diese steht durch die Disruptionen ja letztlich selbst unter Beschuss. Dennoch bin ich froh über die durch den Textfund angestoßenen Gedanken und muss an dieser Stelle kurz loben, dass die bpb ganz entspannt auf Mastodon hilfreiche Texte zum öffentlichen Diskurs teilt. Das ist dann ja doch ein bisschen Deliberation.
Jetzt hat der Artikel weder die Form noch die Länge eines kurzen „Log“-Eintrags, aber ich verspreche, auch mir selber, das hier war jetzt einfach nur runtergeschrieben. Eine etwas längere Fassung der Gedanken für den Zettelkasten.