Mediengeschichte, Gegenwartsdebugging, Zukunftskritik.

Letztens habe ich in einem Newsletter für AutorInnen den Hinweis gelesen, dass das Partizip II vom eingedeutschten Wort „liken“ ganz offiziell „gelikt“ geschrieben wird. Diese Buchstabenkombination irritierte mich derart, dass ich dem nachgehen musste. In der Tat führt zum Beispiel der Duden diese Schreibweise auf und die Erklärung ist recht einfach: So werden eben Verben im Deutschen konjugiert. Partizip II endet auf „t“, der Wortstamm ist „lik“. Und “gelikeder Beitrag” geht eben auch nicht. Sagt der Duden. Punkt.

Das hat mich an die Einführung der neuen Rechtschreibung erinnert, die heute sicher nicht mehr so heißt. Während meiner Abiturphase saßen wir zwischen den Stühlen und konnten uns für eine der Schreibvarianten – alt oder neu – für die Klausuren entscheiden. Damals litt ich ein wenig unter der Abschaffung tradierter Formen, die irgendwie schön waren mit ihren ß und „ph“. Aber ich fand die Erklärung, dass man nun mehr so schreiben solle, wie man spreche, auch anschlussfähig. Also überwand ich meinen Stolz früher als so manches Print-Feuilleton und übernahm die Schreibweise relativ schnell.

Doch es gibt immer wieder Worte, die mir oder anderen quer sitzen. Während meiner Leitmotiv-Podcastphase (schön war es!), wurde mir immer wieder vorgeworfen, dass ich das Wort „Gästin“ verwende. Das sei eine Verschandelung der deutschen Sprache! Ich fand es einerseits falsch, eine Gästin als Gast vorzustellen, und konnte zugleich auf einen Eintrag im Duden verweisen, dass es das Wort sehr wohl gäbe. Ha.

Eine völlig unrepräsentative Umfrage auf Mastodon zeigt: Fast 90 Prozent der Teilnehmenden bevorzugen auch die deutsch-englische Chimäre (aktuelle Duden-Empfehlung: „Schimäre“) „geliked“. Das macht in diesem Fall auch Sinn, denn wenn man „gelikt“ liest, spricht man weder, was dort steht, noch gibt es einen Hinweis auf den Kontext. Man muss dieses Wort also vorab kennen, um seine offizielle Schreibweise zu verstehen. Ich verstehe, den Impuls, offizielle Schreibregeln (mit t!!!) durchsetzen zu wollen, aber geliked ist, Regel hin oder her, eine Schreibweise, die man aus dem Kontext sofort versteht und nicht erstmal „gelickt“ liest und sich fragt, was das soll.

Lange Rede, kurzer Sinn. Je nach Wetterlage bastelt man sich seine jeweils passenden Erklärungen für die Verwendung der deutschen Sprache. Gästin steht im Wörterbuch. Hab ich Recht! geliked verwendet die Masse entgegen dem Wörterbuch. Hab ich auch Recht! Und am Ende steht die Erkenntnis, dass man einfach so schreibt, wie man es mag und für richtig hält, weil: Wer will es einem verbieten?

Aber holen wir noch mal kurz etwas weiter aus: Während der Duden nicht mehr wie früher ein verbindliches Regelwerk ist, ist der eigentliche Bezugspunkt für eine korrekte Schreibweise das »Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung«. Und dieses gilt, das muss man vielleicht auch einmal betonen, nur in Behörden, Schulen usw. als verbindlich, denn letztlich ist Schreiben eine ganz private Angelegenheit.

Aber spielen wir mal Sprachpolizei und werfen einen Blick in das amtliche Regelwerk, auf das man sich im Zweifelsfall berufen kann. Dieses führt ausgerechnet das Wort „liken“ als Beispiel auf. In einer Statistik wird die gemessene Verbreitung der Alternativen gelikt, geliket und geliked gegenübergestellt. Mir hat sich auf die Schnelle nicht erschlossen, was die Datenquelle ist, wird zur Grafik erklärt, dass sie den zeitlichen Verlauf der Verbreitung abbildet und damit im Regelwerk selbst betont, wie wandelbar Sprache ist und wie sehr dies in das Regelwerk einfließt.

Quelle: Amtliches Regelwerk der deutschen Rechtschreibung, Fassung 2024, Seite 29. (pdf)

Die wichtige Aussage der Grafik: Es wird überhaupt beobachtet, wie sich Sprache ändert und empirisch wertungsfrei auf Verschiebungen reagiert. Und nun, Gamechanger, es wird sogar ganz explizit darauf verwiesen, dass “geliked” eine valide Schreibvariante als Ausnahmeregel ist.

Quelle: Amtliches Regelwerk der deutschen Rechtschreibung, Fassung 2024, Seite 44. (pdf)

Dann verschweigt der Duden im Falle von “geliked” also die offiziell amtliche Ausnahmeregel, verweist im Falle von “getimed” aber auf diese Möglichkeit. Damit zeigen sich zwei Dinge:

Erstens: Konsequent oder unfehlbar sind selbst großen Standardwerke nicht.

Zweitens: Wenn das amtliche Regelwerk auf Veränderungen der Sprache reagiert, ist der Regelverstoß auch valider möglicher Veränderungsimpuls.

Während ich so viel über Veränderungen schreibe, muss ich an den gestrigen Post über diskursive Demokratie denken. Vielleicht ist es eben jene beobachtete Veränderungsmüdigkeit, die den Diskurs um die Schreibweisen manchmal eskalieren lässt. Jetzt bin ich versucht, Disruption als positiven Motor sprachlicher Veränderungen zu beschreiben. Aber ich glaube, der Begriff ist verbrannt. Und das wohl zu Recht. Als bleiben wir dem seichten Ende: Schreibt Neologismen, wie ihr wollt. Irgendwer wird es verstehen. Und vielleicht landet Eure Variante irgendwann im Regelwerk.

Caspar Clemens Mierau, geboren 1978 in Ost-Berlin, hat das Programmieren auf einem Robotron gelernt und nie wieder ganz aufgehört, sich mit Computern und ihrer Bedeutung zu beschäftigen. Heute arbeitet er als technischer Berater in Infrastruktur- und Security-Projekten, schreibt als promovierender Medienwissenschaftler über die Geschichte und Gegenwart digitaler Systeme – und bewegt sich dabei seit jeher zwischen Kommandozeile und Kulturtheorie. [mehr]