Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

Über | Links | Impressum

Powered by Genesis

Warum sprechen wir eigentlich nicht vom “Nichtfamilienbett”?

24. Juni 2025 by leitmedium Leave a Comment

Ich wurde letztens von der Deutschen Hebammen Zeitschrift angefragt, für ein Pro-Kontra-Format einen “Pro Familienbett”-Artikel zu schreiben. Da der Artikel dort in redigierter Version in Print und im Abo-Archiv erschienen ist, hier mein unredigierter Artikel, bei dem ich die Gelegenheit genutzt habe, den Begriff “Familienbett” generell zu hinterfragen:

Jahrtausendelang war es selbstverständlich: Familien schliefen gemeinsam. Wärme, Sicherheit, Nähe. Erst in der Moderne wurde das elterliche Bett zum exklusiven Rückzugsort – und die räumliche Trennung zur vermeintlichen Norm. Höchste Zeit, diese Selbstverständlichkeit zu hinterfragen: Warum sagen wir „Familienbett“ und nicht „Nichtfamilienbett“?

Die nicht enden wollende Diskussion zum Thema Familienbett lässt sich so zusammenfassen: Es sei doch wirklich merkwürdig, wenn junge oder gar ältere Kinder mit im elterlichen Bett schlafen würden, das sei ja nicht normal, und dann hätten die Eltern keine Privatsphäre mehr. Die Kinder würden keine Eigenständigkeit lernen. Die Eltern könnten nicht mehr intim werden! Vielleicht würde jemand sogar ein Kind gesundheitlich gefährden! Kinder würden nicht lernen, allein einzuschlafen. Und überhaupt, es sei doch einfach falsch und Teil dieser modernen Kuschelpädagogik, die nur verhätschelte Kinder und gestresste Eltern produziere.

Die Gegenseite antwortet entschieden: Die Einschlafbegleitung werde doch drastisch vereinfacht! Das Kind werde nicht nach der Geburt irgendwo allein abgestellt und immer wieder schreien gelassen, bis es sich resigniert mit dem Alleinsein abgefunden habe. Die Bindung stärke sich, und vor allem: Nächtliche elterliche Diskussionen um die Frage, wer nun aufsteht und das weinende Kind im Nebenzimmer beruhige, würden sich in Wohlgefallen auflösen.

Die Argumente sind bekannt, unzählige Male ausgetauscht. Und ich mache keinen Hehl daraus: Nach drei Kindern im Familienbett tendiere ich nicht nur zu einem gemeinsamen Ort für die nächtliche Ruhe, ich bin mir sogar recht sicher, dass dies für viele Familien eine gute Lösung ist.

Doch wir wollen an dieser Stelle nicht die altbekannten Argumente fortführen, mit Statistiken und anekdotischen Evidenzen anreichern, um die hitzige Diskussion abermals in ihre gewohnten Bahnen zu lenken, als seien das eigene und das fremde Schlafzimmer ein staatstragendes Politikum, das einem abschließenden gesellschaftlichen Konsens bedürfe. Stattdessen wollen wir uns der Frage nach dem Familienbett von einer anderen Seite nähern, nämlich einer begrifflichen. Wörter prägen unsere Realität – eine Feststellung, die nicht zuletzt durch die hitzig geführten Schlagabtausche im Rahmen gerechter Sprache der letzten Jahre immer wieder betont wird. Wörter sind eine soziale Konstruktion. Als Gesellschaft prägen wir sie, laden sie mit Bedeutung auf, erzählen damit etwas über uns – und erschaffen zugleich eine Wirklichkeit.

Und so wollen wir einen Schritt zurücktreten von der allgemeinen Diskussion um das Für und Wider des Familienbetts und die Frage aufwerfen, warum wir überhaupt vom „Familienbett“ und nicht vom „Nichtfamilienbett“ sprechen?

Es scheint heute Normalität, dass Kinder früh in ein eigenes Bett in einem eigenen Zimmer abwandern. Das Kind schläft im Kinderbett, die Eltern schlafen im Ehebett, wobei diese etwas sperrige Bezeichnung modernen Familien nicht mehr ganz gerecht wird und zunehmend durch den Begriff „Elternbett“ ersetzt wird. Nun verweist die Geschichte des Begriffs „Bett“ als „Schlafstätte“ auf eine lange Tradition des Co-Sleepings, also der gemeinsamen Ruhe einer Familie in einem Raum. Man teilte sich Wärme und Sicherheit, um gemeinsam die nicht ungefährliche Nachtruhe zu überstehen, in der man ohne die Aufmerksamkeit des Wachzustands sowie ohne das schützende Licht und die Wärme der Sonne der Nacht ausgeliefert war.

Mit der Moderne, mit festen Mauerwerken, Häusern, Wohnungen, Heizungen veränderten sich die Möglichkeiten der sicheren Übernachtung. Was bisher eine Notwendigkeit war, konnte nun für andere Ziele geopfert werden: Aus dem gemeinsamen, warmen und sicheren Nachtlager wurde in vor allem westlich geprägten Kulturen eine räumliche Trennung der elterlichen und kindlichen Sphäre, um bereits früh Kinder an Werte wie Alleinstellung und Disziplin heranzuführen. Zugleich verschob sich die Bedeutung des elterlichen Betts von einer gemeinsamen Ruhestätte zu einem diskreten Ort des elterlichen Rückzugs – und der Produktion weiterer Nachkommen.

So verschiebt sich die Wahrnehmung des Betts: vom gemeinsamen Schlafplatz hin zu einem Raum, der neu definiert werden muss. Ist es das Elternbett? Das Kinderbett? Das Krankenbett? Oder ist es gar ein Familienbett? Jene moderne Chimäre aus dem, was als gesellschaftliche Norm doch ein privater Rückzugsort der Eltern sein sollte? Doch vielleicht ist dieser Begriff in seiner scheinbaren Normalität bereits eine Unterstellung, die man hinterfragen sollte. Warum sprechen auch Befürworter:innen unreflektiert vom Familienbett, statt die Gegenfrage aufzuwerfen: Was, ihr schlaft im Nichtfamilienbett? Muss erklärt und gerechtfertigt werden, dass man gemeinsam in einem Bett schläft? Die Historie des Begriffs „Bett“ und seine gesellschaftliche Entwicklung geben das nicht unbedingt her. Es ist unsere gesellschaftliche Interpretation, dass dies so ist. Und das westliche Elternbett ist auf globaler Ebene betrachtet nicht einmal der Normalfall. Es ist ausgedacht, es hat sozial-kulturelle Gründe – und die sind nicht einmal nur gut.

Und so kommen wir zu dem vorläufigen Schluss: Wir fragen ab jetzt einfach „Schlaft ihr eigentlich im Nichtfamilienbett?“ und drehen mit wenigen Buchstaben den Diskurs um. Das aber nicht, ohne darauf hinzuweisen, dass jede Familie so schlafen soll, wie es für die Kinder und auch die Eltern richtig ist. Denn das ist vielleicht die wichtigste Lektion: Überlassen wir den privaten Rückzugsraum doch den Familien und halten gemeinsam als Gesellschaft Widersprüche aus. Das täte uns ja generell allen ganz gut.

  • Blechhochzeit
  • 12 von 12 im März 2015
  • »You should know better« – wie ich mich per Browser-Plugin vor Autoren warnen lasse

Filed Under: Allgemein

Kommentar verfassen Antwort abbrechen

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.