Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Tagebucheintrag: 21. Juni 1996 – mit 26 Mark in die CYBERSPACE-Spielhalle…

15. Juni 2015 by leitmedium

Beim Aufräumen ist mir ein Stapel Tagebücher in die Hände gefallen. Beim Querlesen blieb ich beim Wort CYBERSPACE hängen. Es folgt ein Auszug vom Dienstag, den 21. Juni 1996:

Für die, die meine Handschrift nicht lesen können:

“Heute packte mich das Spielfieber. Ich nahm mir 26 Mark und bin zum Kurfürstendamm gefahren. Dort fand ich eine CYBERSPACE-Spielhalle. Bei CYBERSPACE-Spielautomaten muß man ein Sichtgerät aufsetzen und man befindet sich in Drei-Dimensionalen-Welt. Mir ist jetzt immer noch schlecht, geschweige denn von den dortigen Schweißausbrüchen. Aber es war doch einfach geil.”

Ich kann mich tatsächlich noch an die Übelkeit erinnern. Die Spielhalle war am Zoologischen Garten. Ich erinnere mich an kreisrunde Flächen, auf die man sich stellen musste. Dann einen Helm aufsetzen und einen Datenhandschuh anziehen (oder?).

Ungefähr zu der Zeit habe ich mir einen VR-Helm für zu Hause gekauft. Der Forte VFX1 war erschwinglich und ich hatte ein absurd schlechtes Spiel auf dem Rechner, das den Helm unterstützte: TekWar mit William Shattner. Den Helm habe ich noch am Tag des Kaufs wieder zurückgegeben, weil mir speiübel am Rechner wurde und mich das Aufsetzen eines Helmes und Abtauchen in die Virtuelle Realität überforderte. Aber “einfach geil” war es. Alles.

[Update]

Nach einigen Rückmeldungen zum Tagebucheintrag kann ich noch folgendes ergänzen:

Die von “Cybermind” produzierten VR-Umgebungen sahen so aus:


(Quelle)

Es ist nicht ganz klar, ob ich 1996 wirklich am Zoo und nicht am Adenauer Platz war. Zu diesem Café gibt es einen Artikel mit einigen Aufnahmen, die die Stimmung ganz gut wiedergeben: “Virtuality Cafés. Die Vorläufer der Videobrillen”:

Grelles Neonlicht, Holographien an den Wänden und Lichtbänder zwischen den Fußbodenfliesen. So sah einst das Virtuality Café am Adenauerplatz in Berlin aus. Werbebilder mit der Aufschrift “real life sucks … try virtual reality” verzierten das Lokal und hatten eine klare Botschaft. Das Café bot sechs Internet-Rechner an, die gut ausgelastet waren. Und außerdem gab es da noch die VR-Maschinen (Virtual Reality): Podeste, die an aufgeblasene Autoscooter erinnerten. Was sich im Grunde nach einem Café in einem Science-Fiction Romans anhört, ist in der Tat schon Vergangenheit. Das Virtuality Café eröffnete im Oktober 1993 direkt am U-Bahnhof Adenauerplatz.

Ein Telepolis-Artikel von 1998 zeigt, dass in direkter Zoo-Nähe erst zwei Jahre später eröffnet wurde (und das wäre nicht der erste Erinnerungs-Irrtum):

Am 1. Mai eröffnet in Berlin das größte Internetcafe in Europa. Das “Website”, das drei Laufminuten von Bahnhof Zoo entfernt in der Joachimsthaler Strasse liegt, wird Internetsurfer 60 Terminals auf zwei Etagen bieten. Netzuser können sich zwischen einer Etage, die wie der Salon der Titanic, und einer, die nach Motiven aus dem Film “Metropolis” gestalteten ist, entscheiden, wenn sie im “Website” auf Surftour gehen wollen.
Fachkundige “Netz-Scouts” sollen Internet-Novizen zur Hand gehen, außerdem soll es in der “Website” Einführungskurse in Geschäftssoftware und Internet geben. Für die “Website” soll im Kino und in der U-Bahn geworben werden.

…

Seit drei Jahren betreibt das Unternehmen das Virtuality Cafe am Adenauer Platz, die dafür entwickelte Software ist schon an die Betreiber von anderen Internet-Cafes verkauft worden. Mit Cy-Berlin hat das Unternehmen außerdem eine dreidimensionale Netzversion der Berliner Innenstadt im Internet geschaffen.

Letztlich ist nicht so wichtig, wo ich genau war. Interessant ist, dass in der Gegend um Ku’Damm und Zoo in den 1990er Jahren es mehrere VR-Cafés gab. Mehr zu dieser Szene gibt es im Artikel »Virtuelle Realität in Berlin. Ein Bericht über den Stand des kommerziellen Einsatz von VR-Technologien im Jahre 1994 in Berlin.«

Filed Under: Allgemein

Comments

  1. Brokkoli says

    15. Juni 2015 at 22:41

    @leitmedium <3

  2. «bob» says

    15. Juni 2015 at 22:42

    @leitmedium war die Halle nicht das Teil neben dem Zoopalast ?

  3. leitmedium says

    15. Juni 2015 at 22:43

    @ausknips Ja, genau 🙂

  4. Artemis says

    15. Juni 2015 at 22:44

    @leitmedium Ich war gerade schockiert, dass das schon wieder 19 Jahre her ist und dann ist mir klar geworden, dass ich selbst erst 23 bin

  5. leitmedium says

    15. Juni 2015 at 22:44

    @Artemis_Fo hahaha 🙂

  6. bradypus says

    15. Juni 2015 at 22:58

    @leitmedium :3 <3!

  7. Lars Weiler says

    15. Juni 2015 at 23:38

    @leitmedium Großartige Beschreibung der Motion Sickness 😀

  8. Michael Simons says

    16. Juni 2015 at 15:50

    @leitmedium meinst Du, der hat Dein Blog kurz vorher gelesen? 😉

  9. GNU/memagogx says

    16. Juni 2015 at 16:00

    @leitmedium Dabei ist “Rohling” so ein schönes Wort 😀

  10. leitmedium says

    16. Juni 2015 at 16:00

    @memagogx gibt es auch beim Backen: Teigrohling 🙂