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Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Die Roboter sind unter uns: “Plug & Pray”

27. November 2010 by leitmedium

Roboter haben in Science-Fiction-Filmen noch immer die Anmut von wissenschaftlicher Fiktion. Längst ist aus der Vorstellung eine Tatsache geworden: Seit Jahrzehnten ist die “Robotik” ein zentrales Forschungsthema und entwickelt sich rasant weiter. Die derzeit im Kino laufende Dokumentation “Plug and Pray” umreißt den aktuellen Stand der Forschung und zeigt die begleitende Diskussion von Technik-Euphorie bis Technik-Kritik.

Im Zentrum des Films steht der in Berlin geborene und Jahrzehnte am Massachusetts Institute of Technology (MIT) arbeitende Computerpionier Joseph Weizenbaum. Weizenbaum ist bekannt für seine thematische Kehrtwende hin zu einer Moral der Computerwissenschaften. Am MIT arbeitete Weizenbaum seit den 1960er Jahren im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Bereits Mitte der 1970er Jahre zeichnete sich eine zunehmend technik-kritische Haltung Weizenbaums ab, die in der Veröffentlichung “Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft” einen frühen Höhepunkt fand. Bis zu seinem Tod im Mai 2008 wurde Weizenbaum eine charismatische Schlüsselfigur der Technik-Kritik.

offizieller Film-Trailer “Plug and Pray”

“Plug and Pray” beginnt in Joseph Weizenbaums Arbeitszimmer und zeigt einen alten Mann, der an seinem Windows-Laptop sitzend über die Unzulänglichkeiten aktueller Technik spottet. Platitüden, zugegeben. Aus Weizenbaums Mund aber mit einer charmanten Subtilität vorgetragen. Selbst der lakonische Hinweis auf die angebliche “Wireless”-Revolution bei gleichzeitigem Blick auf den undurchdringlichen Kabelsalat unterm Schreibtisch ist da verziehen. So gleitet der Film seicht ins Thema und kann so bekanntlich kaum ertrinken. Es folgen Interviews mit Forschern wie Raymond Kurzweil (USA), Hiroshi Ishiguro (Japan) und Girgio Metta (Italien).

Eine gewisse Oberflächlichkeit hält in der gut recherchierten Dokumentation die Waage zwischen Faktenbericht, Portrait des sterbenden Weizenbaums und dem ambivalenten Verhältnis der Gesellschaft zu Robotern. Die geschickte Trivialität der Dokumentation zeichnet sich durch den Verzicht auf zu technische und philosophische Detail aus. Statt dessen arbeitet der Film gezielt mit ästhetischen Mitteln, um den Zuschauer zu ergreifen.

Trotz des breiten Spektrums an Meinungen ergreift “Plug and Pray” selbst Partei. Die spürbare Privatheit im Umfeld von Weizenbaums Wohnung im Berliner Nikolaiviertel legt bereits früh eine gewisse Vertrautheit von Filmemacher und skeptischem Protagonist dar. Doch auch auf rein formaler und inhaltlicher Ebene unterstreicht das wiederholte Einblenden von Texttafeln mit technologie-kritischen Fakten, dass es den Machern mit dem Film nicht um eine bloße Reportage geht, sondern ein klarer Impuls zur weiteren Debatte über das Thema gegeben werden soll.

Dabei stellt sich eine gewisse Skepsis von selbst ein: Roboter sind fremd, soviel ist klar. Wenn Metall-Hände sich zu bewegen beginnen, Menschen neben ihren Doppelgängern sitzen und kleine Kinder-Roboter sich beim “Aufwachen” räkeln, weiß man nicht, ob man beeindruckt sein soll oder es einfach abstoßend findet. Und selbst die Robotik-Forscher zeichnet eine Unkenntnis aus: Sie wissen, was sie tun, aber warum, das kann keiner so recht beantworten. Und ob es nun ethisch vertretbar sei – nun ja, man wird es sehen. “Plug and Pray” liefert keine Antworten, aber einen vorsichtig gelenkten Einstieg in ein aktuelles Thema. Zugleich ist es eine Hommage der letzten Tage Joseph Weizenbaums, mit dem sicher auch die Kritik, die er selbst vertrat, verstarb.

p.s.: Vorbildlich ist die Aufarbeitung vielfach prämierten und mit dem Prädikat “besonders wertvoll” ausgezeichneten Dokumenatrfilm für den Unterricht. Auf der offiziellen Webseite gibt es eine PDF mit Unterrichts-Materialien, die den Film näher beleuchtet und mit Arbeitsaufgaben an den Film und eine technik-kritische Diskussion heranführen möchte. Es wäre schön, wenn der Film damit dauerhaft einen Platz in der Schulbildung erhält – sinnvoller als die ein oder andere Informatik-Stunde, in der mit veralteten Programmiersprachen praxisferne Theorie vermittelt wird, ist er allemal.

Weitere Quellen zum Film

Video-Material

Besprechung im ARD “Kultur-Journal”:

Besprechung im NDR “Kulturjournal”

externe Videos und Artikel

  • Die Besprechung bei “ZDF aspekte”
  • Besprechung bei NDR Kultur
  • Besprechung in Spiegel Online
  • Besprechung in der Telepolis
  • Besprechung bei golem.de

Filed Under: Kino, Kommunikation, Kritik, Kultur, Kulturgeschichte, Künstliche Intelligenz, Medien, Mediengeschichte, Medientheorie, Moral, Philosophie, Pornographie, Roboter