Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Rezension: McLuhan neu lesen

2. August 2008 by leitmedium

McLuhan ist der konjunkturell totgesagte Prophet und unerschoepfliche Steinbruch der Medientheorie. So ueberrascht das juengste Erscheinen Sammelbandes >>McLuhan neu lesen<< und ueberrascht nicht. Es ueberrascht, weil spaetestens mit der 2003 veroeffentlichten kritischen Ausgabe von >>Understanding Media<< ein Punkt an den Ende eines langen Satzes gesetzt worden schien und es ueberrascht nicht, weil eben jener Satz kein Ende haben kann, da der groesste Fehler bei der McLuhan-Lektuere wohl der ist, Argumentationen streng woertlich zu deuten und Thesen zu einem Ende fuehren zu wollen.

>>The medium is the massage<< ergaenzte sich McLuhan in seinem spaeten Werk und in diesem Sinne ist >>McLuhan neu lesen<< keine Sekundaerliteratur, keine monothematische Parzellierung eines Autors. So ist der Untertitel der eigentliche Titel des Buches: >>Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert<<. Ein zugegeben betont visionaeres Unterfangen, sind die Jahreszahlen eben dieses Jahrhunderts doch noch einstellig und ob die im Buch angerissenen Technologien (wie Web 2.0, Wii und Second Life) die naechsten Dekaden als argumentative Zugpferde hinhalten, sei dahingestellt.

Doch eben jene visionaere Zukunftsschau und retrospektive Bewertung des 20. Jahrhunderts bietet sich ausgehend von McLuhans Texten an. Thesen wie die Implosion des Sozialen, die komparative Unterteilung in heisse und kalte Medien und nichtzuletzt die Festellung des Mediums als Botschaft umreissen einen analytischen Impuls, der einem medien- und kulturanalytischen Diskurs den notwendigen Ausgangspunkt und Rahmen gibt. McLuhan als argumentatives Dispositiv, thematischer Fundus und immer wieder überraschend zielsicherer Prophet medialer Veränderungen.

Dabei ist nicht das gedruckte Wort allein die Botschaft. Die Herausgeber de Kerckhove, Leeker und Schmidt haben es vermieden, ein sich in der Gutenberg-Galaxis aufloesendes Buch zusammenzustellen: Eine im besten Sinne des Wortes >>multimediale<< DVD liegt der Textsammlung bei und bereichert das Buch um Autoren-Interviews, Dokumentationen, Software und Links. Natuerlich setzen beigelegte Datentraeger ein Buch immer der Gefahr einer vorzeitig Technologie-bedingten Alterung aus, ein einzelnes Buch jedoch waere eine sehr einseitige Stimulanz, ein eiskaltes Medium, mit Sicherheit keine >>massage<< geworden.

Die ueber dreissig Beitraege des Sammelband sind in ihrer Gaenze ob der Heterogenitaet der verhandelten Themen schwer zu umreissen. Es sind bekannte Verdaechtige wie Claus Pias, Stefan Heidenreich und Hartmut Winkler, die in ihren Artikeln einzelne Phaenomene herausgreifen und beleuchten. Und so wird >>McLuhan neu lesen<< durch den Verzicht auf eine strenge Auseinandersetzung mit McLuhan selbst zu einem Steinbruch fuer weitergehende Arbeiten, der wie >>Understanding Media<< nicht als Ganzes, sondern als Mosaik mit farbigen und schattierten Bereichen gesehen werden sollte.

>>McLuhan neu lesen<< ist somit kein Imperativ. Es ist kein Fluchtpunkt, kein Ziel, sondern Benennung eines gemeinsamen Topos, eines Versammlungsortes, von dem sternfoermig man sich entfernen kann, ohne ihn gaenzlich zu verlassen. Es ist sicher kein epochales Werk, aber eine durchaus bemerkenswerte Zusammenstellung konkreter Medien- und Kulturanalysen wichtiger Autoren und Wissenschaftler. Das Buch erinnert an den gedruckten Medien-Kanon der Neunziger Jahre und aktualisiert ihn auf den Beginn des 21. Jahrhunderts. Dass McLuhan dabei noch immer als Ausgangspunkt dient, ist umso erfreulicher.

Diese Rezension erschien zuerst in der Berliner Gazette.

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