Gelegentlich erreichen mich Anfragen zu Veranstaltungen über die neue Privatheit. Oft fällt in diesem Kontext das Wort “Exhibitionismus”. Ein Grund für mich, solche Veranstaltungen pauschal abzusagen, da ich dieses Wort für völlig falsch halte. Auf die letzte Anfrage dieser Art (die sehr freundlich war), möchte ich öffentlich antworten, um nicht immer wieder ähnliche Absagen verschicken zu müssen:
Hallo,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Prinzipiell bin ich für solche Anliegen offen. Mit der aktuellen Veranstaltung gibt es jedoch zwei Probleme: Erstens wird in den nächsten Wochen mein drittes Kind zur Welt kommen. Daher kann ich derzeit keine festen Planungen für den April machen. Zweitens – und das ist wichtiger – habe ich prinzipiell Schwierigkeiten mit dem Begriff „Exhibitionismus“. Lassen Sie mich kurz ausführen, warum. Exhibitionismus ist nicht unbedingt ein Wort, mit dem man sich wohlfühlt. Gesellschaftlich ist das Wort “Exhibitionist” sicher nicht schmeichelhaft, was keine Verurteilung von meiner Seite ExhibitionistInnen gegenüber sein soll. Es ist einfach eine Tatsache im kanonischen Sprachgebrauch. Die ICD-10 klassifiziert Exhibitionismus sogar als Störung der Sexualpräferenz:
»Nach ICD-10 ist der Exhibitionismus eine Persönlichkeits- oder Verhaltensstörung in Form einer Störung der Sexualpräferenz (Schlüssel F65.2), die als wiederkehrende bzw. anhaltende Neigung beschrieben wird, die eigenen Genitalien vor meistens gegengeschlechtlichen Fremden in der Öffentlichkeit zu entblößen, ohne dass ein näherer Kontakt eingefordert oder gewünscht würde. Ob es sich um eine Störung der Sexualpräferenz handelt oder lediglich um eine Abweichung von inzwischen allgemein akzeptierten Sexualpräferenzen, ist heftig umstritten. Die Entblößung kann auch vor gleichgeschlechtlichen Fremden erfolgen, die Art ist im Wesentlichen von der eigenen sexuellen Ausrichtung abhängig (heterosexuell, homosexuell etc.).« (Wikipedia)
Egal, ob man nun Exhibitionismus für eine sexuelle Störung hält oder einfach eine Neigung/Vorliebe wie viele andere, haben Sie sicher Verständnis dafür, wie unpassend es ist, mit diesem Label für den allgemeinen Lebenswandel versehen zu werden. Sie schreiben, dass es also um das Thema »Privatheit« geht – das ist schon ein anderer Ansatz. Aber dennoch bleiben Sie in der sexuellen Sichtweise, wenn sie von der „Lust an der Selbstoffenbarung“ schreiben. Ich gehe mit diesen sexuellen Zuschreibungen nicht mit und halte sie eher für die schockierte Feststellung, dass sich etwas geändert hat. Ich würde gar die These aufstellen, dass in unserem christlich geprägten Kulturkreis das Neue gern aufgeregt mit anrüchig wirkenden sexuellen Neigungen betitelt wird. Das sagt tatsächlich mehr aus über die Zuschreibenden, als über die Menschen, die damit beschrieben werden sollen.
Einladungen zu Veranstaltungen, die einen »Exhibitionismus« im Netz diskutieren, sage ich daher mittlerweile kategorisch ab. Für mich ist ein Gespräch auf dieser Grundlage nicht tragbar und ich möchte der falschen Verwendung dieses Begriffs in diesem Kontext nicht weiter Vorschub leisten.
Ich grüße Sie freundlich,
Leitmedium.
Bildnachweis: Piemelman von Flickr-NutzerIn Goya Bauwens, veröffentlicht unter CC-BY-NC (bearbeitet).
@leitmedium Lustig. Gestern noch Leitmotiv 001 gehört. Passt ja perfekt.
@patsbin Das war ja die Folge mit @HansHuebner – stimmt, die passt 🙂
Für mich war es überraschend, dass du das Wort “Lust” auch im sexuellen Kontext verortest. Das mag vielleicht im Gesamtzusammenhang Mut der geplanten Veranstaltung auch naheliegen und passen, aber grundsätzlich empfinde ich “Lust” nicht als auf Sexualität begrenzt.
Hab ich dich vielleicht falsch verstanden?
Ich halte das Wort “Lust” für deutlich sexuell konnotiert, ja.