Die @fraumierau hat vor einiger Zeit den Begriff “Online-Eltern-Clan” geprägt, um das digitale Zusammenleben von Eltern zu umschreiben. Am Wochenende hatte ich ein Gespräch, das mir zeigte, wie gut sich das Konzept abstrakter fassen lässt … anhand von Frühstücksfotos.
Es ist Samstag Mittag. Ich sitze mit lauter fremden Menschen an einem langen Tisch. Wir essen Brötchen, die wir gerade in einem Backkurs gebacken haben und fachsimpeln über Krumen, Schwaden und Sauerteig. Mir gegenüber sitzt eine ältere Frau aus Bayern, geschätzt zwischen 50 und 60. Sie ist eine der unscheinbaren TeilnehmerInnen, ruhig. Plötzlich sieht sie mir in die Augen und spricht mich das erste Mal an:
Sie: “Du, kann ich Dich etwas Persönliches fragen?”
Ich: »Klar.« (gespannt, was nun kommt)
Sie: »Du hast erzählt, dass Du Fotos von Deinem Frühstück ins Internet stellst. Warum … warum macht man sowas?«
Ich: »Da gibt es zunächst eine Verwechslung. Viele Menschen denken bei “ins Internet stellen” noch an das Veröffentlichen im Sinne von Publizieren, wie wir es von der Presse kennen. Das Teilen von Inhalten in sozialen Medien, Blogs und so weiter funktioniert aber anders. Es ist eher das Mitteilen in einer größeren Runde. «
Sie: »Ok.«
Ich: »Wichtiger ist aber ein anderer Punkt: Unsere Gesellschaft verändert sich. Zurzeit ist sie geprägt davon, dass sich traditionelle soziale Lebensformen auflösen: Menschen ziehen zwischen Bezirken, Städten und Ländern hin und her. Es gibt die Großfamilie nicht mehr als Bezugspunkt. Das ist nur eine Feststellung, kein Hinterher-Trauern. Viel Wissen, das früher im Alltag weitergegeben wurde, kann heute so nicht weitergegeben werden. Das ist auch einer Grund, warum wir in diesem Backkurs sitzen. Wenn es natürlich auch schon Backkurse vor dem Internet gab.«
Sie: nickt
Ich: »Dieses Alltagswissen wird nun auf anderen Wegen weitergegeben. Zum Beispiel, wenn ich Frühstücksfotos ins Netz stelle. Ich werde immer wieder angeschrieben von Menschen, die mir ihre Frühstücks- und Backfotos schicken, weil sie plötzlich Lust und Inspiration bekommen haben für eigene Versuche.«
Sie: »Es ist also ein Weg aus der modernen Einsamkeit?«
Ich: »So würde ich das nicht nennen. Es klingt zu negativ. Es ist eher eine logische Folge auf neue soziale Gefüge. Zusammenleben verlagert sich in veränderter Form ins Netz. Es ist nicht unnormal, dort Frühstücksfotos oder anderes “Belangloses” zu veröffentlichen. Es ist Teil des Lebens und damit Teil von Kommunikation. Es gibt immer Menschen, die sich über solch Alltägliches freuen und daraus wieder ihr eigenes Projekt machen. Es macht Spaß.”
Ich zeigte ihr einige Frühstücksfotos. Sie fand sie inhaltlich nicht interessant. Aber die Vogelperspektive auf einen Frühstückstisch hatte sie noch nie gesehen. Sie holte ihr Smartphone raus und begann damit zu experimentieren, den Tisch von oben zu fotografieren. Dafür zeigte sie mir, wie man Mehl unter einen Teig schiebt. Wir hatten uns verstanden.
@leitmedium wegen des Neids, ganz offensichtlich.
Ich frage mich eigen immer, wie der Tisch nach dem Frühstück aussieht, ob da auch das blanke Chaos herrscht, so wie bei uns 🙂
Ich habe irgendwann mal ein Nachher-Bild gepostet: Es sieht natürlich wüst aus 🙂
@leitmedium schöner artikel.