Vor ein paar Jahren kam als Reaktion auf die “Du bist Deutschland”-Kampagne ein recht gelungenes Video heraus: “Du bist Terrorist” thematisierte die staatliche Überwachung:
Das Video machte vieles richtig: Es griff ein konkret aktuelles Thema auf (eine Kampagne), spielte verbal damit, ironisierte und war vor allem: kurz. Nun gibt es, fünf Jahre später ein Nachfolgevideo, das mit “Wir Lieben Überwachung!” allgemeiner die Nicht-Reaktion der Menschen ob der Datenschutzskandale aufgreift:
Ich habe mir das Video etwas genauer angesehen und bin, offen gesagt, etwas bestürzt über Bildsprache und einige inhaltliche Aussagen. Im Gegensatz zum ersten Teil vermischt das Video argumentativ vollständig staatliche Überwachung, Krankenkassen und private Dienste. Es skandalisiert dabei in einer Heftigkeit, die nicht mehr zu steigern ist. So wird zum Beispiel ein Schreckensszenario ausgemalt, in dem eine Partei Mitglieder anderer Parteien zumindest bildlich erhängen lässt:
Das ist natürlich eine Zuspitzung. Aber welche Argumentation sollte man an dieser Stelle noch in Ländern vorbringen, in denen das wirklich geschieht oder direkt absehbar ist? Ebenso ist der in seiner Blutlache sterbende Journalist sicher eine Metapher. Aber… muss das so ausgestaltet werden?
Man kann es natürlich so machen. Und das wird auch seit Jahren so getan. Es fehlt nur auch seit Jahren eine Steigerungsmöglichkeit. Schon von der Snowden-Leaks wurde verbal und bildlich jegliches Empörungs-Vokabular verschossen: Vergleiche mit Stasi, China, Repressionsstaaten und dunkelste Zukunftsszenarien lassen sich problemlos zusammensuchen.
Oft wird im Datenschutzdiskurs das Beispiel angeführt, dass ein Frosch im sich erwärmenden Wasser sitzenbleibt, bis er stirbt:
Das stimmt nicht. Und genauso wenig stimmt es, dass eine größt mögliche Skandalisierung ratsam ist, um maximal zu mobilisieren. Denn es verbleibt kein Empörungspotential für tatsächliche Steigerungen der Lage. Es fragt sich, ob die jahrelange Dauer-Maximal-Skandalisierung nicht ungewollt den Effekt eines Shock and Awe hat (dazu auch Jürgen Geuter hier):
Shock and Awe (S&A) (engl. „Schrecken und Ehrfurcht“) bezeichnet eine Taktik, deren Ziel es ist, durch eine oder mehrere auf Schockwirkung ausgelegte militärische Maßnahme(n) den Gegner so zu verunsichern, dass es zu keinen nennenswerten Verteidigungsmaßnahmen kommt.
Ebenso stellt sich die Frage, inwiefern es einen argumentativen Bruch gibt: Es wird Befürwortern staatlicher Überwachung vorgeworfen, mit maximalen Ängsten durch Terror-Szenarien zu spielen – und als Gegenentwurf mit maximalen Ängsten durch Unrechtsregime gearbeitet.
Ich würde mich freuen, wenn hier wieder einen Gang zurückgeschaltet wird – wenn es denn nicht zu spät ist. Und Probleme einzeln verhandelt werden: staatliche Überwachung, Krankenkassen, private Überwachung, usw. Ja, diese Themen hängen teilweise zusammen. Sie in einen Topf zu werfen und Mord und Totschlag heraufzubeschwören, bringt niemandem etwas. Dann wäre vielleicht auch das neue Video nicht nötig gewesen.
Zum Punkt, dass überzeichnete Terrorpanik mit einer ebenso überzeichneten Panikmache beantwortet wird hatte Alvar Freude bereits 2007 in http://www.fitug.de/debate/0710/msg00103.html was geschrieben und genau diesen Effekt beobachtet (Link aus: http://blog.odem.org/2011/01/quick-freeze-ip-phobie.html von 2011 – So lang diskutieren wir den gleichen Scheiß also schon…).
Das scheint sich wohl eher nur noch verstärkt haben, Eigentlich schade, denn wenn beide “Seiten” sich solcher Rhetorik bedienen führt das nur dazu, dass die Seite mit dem längeren Hebel in the long run schlicht gewinnt, einfach weil halt ab und zu jemand mit Überwachungsmaßnahmen gescnappt wird (und die damit legitimiert werden), während die netzpolitischen Dystopien sich irgendwie nicht bewahrheiten weil’s den meisten Menschen dann irgendwie doch immer noch ganz gut geht.
Danke für die Links!
Nachdem ich das Video gesehen hatte, habe ich mich an die Demotipps der DigiGes erinnert:
https://digitalegesellschaft.de/2014/08/demotipps-fuer-den-sicheren-umgang-mit-handys/
Das hielt ich damals schon für leicht überzogen. Das Video ist nochmal eine ganze Ecke härter und übertreibt dermaßen, dass der Schuss mit “neuen Narrativen” eher nach hinten losgeht.
Trotzdem finde ich es wichtig über Überwachung zu sprechen und einen Weg zu finden das zu thematisieren!
(Das Wort mit dem “D” lasse ich hier besser weg…^^)
Anders wäre besser – ist aber eben auch leichter gesagt als getan.
schöne Grüße
Überwachung – Big Brother is watching you
“Sei auf der Hut – Denn in diesen Tagen können Straßen sehen und Leitungen hören!”
Mag für manchen paranoid klingen, aber ich bin der Meinung dass man jede Chance nutzen sollte um die eigene Privatsphäre zu schützen.
Danke, Caspar Clemens Mierau, für deinen Artikel. Ich finde es wichtig sich darüber Gedanken zu machen was gesagt und gezeigt wird. Kritisch hinterfragen. Egal ob es die Propaganda der Medien ist oder Videos wie sie Alexander Lehman präsentiert. Der von dir genannte Punkt “Shock and Awe” ist sehr interessant.
Vom Inhalt abgesehen, gefällt mir die Art wie die Videos gestaltet wurden sehr gut. “Du bist Terrorist” war mit 2 Minuten kurz und knackig. “Wir Lieben Überwachung” allerdings mit stolzen 7 Minuten doch recht langatmig. Über die Inhalte lässt sich streiten. Der eine sagt es sei zu reißerisch, der andere findet es genial.
Es gibt viele Mittel und Wege um auf ein Thema aufmerksam zu machen. Genauso könnte ich in Frage stellen, ob es Sinn macht eine Spaßpartei zu gründen. Mein Held ist der Kabarettist Volker Pispers. Der bringt es auf den Punkt. Am Ende wollen alle, wie auch Alexander Lehman, das Eine: Darauf aufmerksam machen. Nicht nur darüber nachzudenken, sondern vor allem endlich zu handeln!
Ich lasse mir von anderen nicht das Gehirn waschen. Ich hinterfrage kritisch und treffe alle mir möglichen Maßnahmen um mich und meine Privatsphäre zu schützen.
Herzlichst
Emanuel