Vor ein paar Monaten erzählte mir ein Verwandter von seiner Flucht aus der DDR. Es war eine spannende Geschichte. Als er erwähnte, dass es wohl in der BILD-Zeitung einen kurzen Bericht dazu gab, beschloss ich, im Axel-Springer-Archiv danach zu suchen. Der Termin war schnell organisiert. Das Axel-Springer-Archiv in Berlin ist sehr gut sortiert, die Mitarbeiter freundlich und hilfsbereit. Nach Anforderung der entsprechenden Bände, habe ich einen Vormittag lang dutzende BILD-Zeitungen aus den frühen 1980er Jahren durchgeblättert. Den gesuchten Artikel konnte ich leider nicht finden. Statt dessen aber verlor ich mich in den zeitgenössischen Artikeln, Fotos und Werbeanzeigen. Aus archivarischem Fetisch nahm ich einige Fotos von Artikeln und postete später einen Artikel zum Archiv-Besuch, in dem ich ausgewählte Artikel und Werbeanzeigen präsentierte.
Monate später erhielt ich eine freundlich formulierte Mail von einer Axel-Springer-Verwertungsgesellschaft, in der ich mit einer 14tägigen Frist aufgefordert wurde, den Artikel wieder offline zu nehmen:
»uns ist aufgefallen, dass Sie auf der Website http://www.leitmedium.de/[…] zahlreiche Fotos aus aus unseren Zeitungsbänden veröffentlichen, ohne die entsprechende Genehmigung im Vorfeld eingeholt zu haben. Die Inhalte unserer Zeitung sind urheberrechtlich geschützt, die Logos sind markenrechtlich geschützt. Wir bitten Sie die Fotos umgehend zu entfernen. Sollten Sie dieser Aufforderung nicht bis spätestens zum 07.02.2014 nachkommen, behalten wir uns weitere rechtliche Schritte vor. Alternativ übersenden können wir Ihnen ein Angebot für die Lizenzierung der Inhalte übermitteln.«
An der E-Mail fand ich folgendes bemerkenswert: Obwohl der obligatorische Verweis auf mögliche rechtliche Schritte nicht fehlte, verzichtete man auf ein anwaltliches Schreiben und setzte mit 14 Tagen eine angemessene Frist. Man verzichtete auf rückwirkende Lizenz-Kosten und verwies auf die Möglichkeit, nachträglich eine Lizenz zu erwerben. Auch wenn ich natürlich bedauerte, den Artikel offline nehmen zu müssen, freute mich, dass es auch – gerade für Blogger – faire E-Mails dieser Art aus großen Medienunternehmen gibt.
Dies ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass das eigentliche Problem der absurd lange urheberrechtliche Schutz ist, dem Werke unterlegen. Wir reden in diesem Beispiel von 30 Jahre alten Artikeln aus der BILD-Zeitung. 30 Jahre alte Zeitungsartikel! Genau genommen um Beiträge mit den folgenden Überschriften:
- Spaniens König rettet Demokratie
- 900 Russen plötzlich in West-Berlin
- Rock aus dem Osten
- Türkenmädchen verletzt
- Schöne Aufgabe für Behinderten
- NPD bei Alliierten abgeblitzt
- Interview mit einem Chaoten: „Auch ich habe Steine geworfen“
- Oranienstraße: Hausbesetzer stiegen durch Dachluke ein
- Ich kann nicht sehen – liegt das an der Schreibtischlampe?
- Friseuse ohne Daumen – wie ein Contergan-Kind das Leben meistert
- Protest: Bei Schule und Kitas nicht sparen!
- Experten prüfen: S-Bahn notwendig?
- Neuer Busen macht viele Frauen glücklich. Aber: Oft kein Gefühl in der Burstwarze
- Scheidung wegen des Zauberwürfel
- 17jährige bekam Sechslinge von verheiratetem Mann
Eine Anfrage, mit welchen Kosten denn für eine Lizenzierung zu rechnen sei, ergab, dass pro Artikel zwischen EUR 150,- und 400,- fällig werden (siehe offizielle Preisliste). Mein Blog-Artikel hätte damit mehrere tausend Euro gekostet. Statt dessen werden die von mir ausgewählten Artikel nun weiterhin im Archiv liegen und, seien wir ehrlich: Jahrzehnte weiterhin ungelesen bleiben. Das ist schade, weil die Inhalte durchaus unterhaltsam sind und falsch, weil es wichtige kulturhistorische Erkenntnisgewinne drastisch erschwert.
p.s.: Da auf Inhalte aus der BILD-Zeitung oft allergisch reagiert wird: Ja, ich halte dieses Archiv für wertvolles Kulturgut, das eine bestimmte Lesart präsentiert, die zudem massenmedial extrem wirksam war. Archive sind nicht zu verwechseln mit einer ermüdenden Hochkultur-Debatte.
Ich frage ja nur ungern so direkt, aber: Wann begreifen Urheberrechtskritiker endlich einmal, dass ihnen das Urheberrecht auch ein Zitatrecht einräumt? Gerade als Journalist sollte man das doch wissen, oder?
Das Zitatrecht hilft dir aber in dem Fall nicht weiter. Wirklich spannend ist ja eigentlich der ganze Artikel. Das Zitatrecht umfasst in etwa das, was Leitmedium oben gezeigt hat(also Überschriften. Eventuell ein kurzer(!) Absatz).
Wirklich interessant wird das aber halt erst mit entsprechenden Fotos und Hintergrundinfos.
Auch bei Fotos hat man ein Zitatrecht.