Auf der Suche nach Büchern über Lochkarten-Programmiertechniken bin ich heute auf amazon.de auf folgendes Werk gestoßen:
Quelle: Amazon.de
Ein merkwürdig langer Titel, aber genau das, was ich suche. Ich bin gar überrascht, in Bibliotheks-Recherchen weder vom Buch, noch von den Herausgebern etwas gelesen zu haben.
Leider fehltem dem EUR 34,- teuren Buch im Amazon-Katalog sowohl eine Cover-Abbilung, als auch eine Inhaltsangabe. So ging es abermals an eine Bibliotheks-Recherche: Keine Bibliothek kannte den Titel oder einen der Herausgeber. Noch immer am Werk interessiert folgte eine erweiterte Google-Suche nach den Herausgebern, die wiederum zu einer Amazon-Seite mit Titeln des Verlags “Betascript Publishing” führen: Über 100.000 Titel umfasst dessen Angebot. Merkwürdig, noch nie von ihnen gelesen zu haben…
Wirklich merkwürdig wird es erst, wenn man die Titel des Verlages genauer studiert. Oben genannte Herausgeber bringen über 60.000 Titel heraus, darunter Werke wie:
“Vehicle armour: Active protection system, Armoured fighting vehicle, Non- military armored vehicles, Armoured warfare, Tank classification, Plastic armour, Armour, Tank, Armored car”
oder
“Publishing: Printing, Electronic Publishing, Content (media and publishing), Media (communication), Newspaper, Internet, Publication, Intellectual Property, Typesetting, Proofreading”
Da stimmt doch etwas nicht, denkt man sich und staunt nicht schlecht, wenn man auf der Suche nach “Betascript Publishing” spätestens im BasicThinking Blog liest:
Die beiden US-Pseudoverlagshäuser Alphascript Publishing und Betascript Publishing haben es sich zur Aufgabe gemacht, “akademische Untersuchungen” zu drucken – “weltweit und völlig kostenlos für den Autor”. Im Klartext bedeutet das, dass Wikipedia-Artikel kopiert, formatiert und zwischen zwei Buchdeckel gepresst auf den Markt geworfen werden, wo nichtsahnende Kunden dann zuschlagen. Für jedes Buch wird zwischen 30 und 60 Euro verlangt.
Quelle: basicthinking.de
Betascript Publishing bietet also eine extrem hohe Vielfalt an Wikipedia-basierten Druckerzeugnissen an. Soweit, so gut. Wikipedia-Artikel, das sei vorweggeschickt, dürfen weiterverbreitet werden – auch kommerziell. Die auf wikipedia.org verwendete Creative-Commons-Lizenz Attribution-ShareAlike, gestattet ausdrücklich:
Sie dürfen:
- das Werk bzw. den Inhalt vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen
- Abwandlungen und Bearbeitungen des Werkes bzw. Inhaltes anfertigen
Zu den folgenden Bedingungen:
- Namensnennung — Sie müssen den Namen des Autors/Rechteinhabers in der von ihm festgelegten Weise nennen.
- Weitergabe unter gleichen Bedingungen — Wenn Sie das lizenzierte Werk bzw. den lizenzierten Inhalt bearbeiten, abwandeln oder in anderer Weise erkennbar als Grundlage für eigenes Schaffen verwenden, dürfen Sie die daraufhin neu entstandenen Werke bzw. Inhalte nur unter Verwendung von Lizenzbedingungen weitergeben, die mit denen dieses Lizenzvertrages identisch, vergleichbar oder kompatibel sind.
Quelle: de.wikipedia.org
Gegen eine gedruckte Veröffentlichung von Wikipedia-Artikeln auch ohne Rücksprache mit Wikipedia oder den ursprünglichen Autoren ist also nichts einzuwenden – im Gegenteil: Es ist die konsequente Anwendung der entsprechenden Lizenz. Fragwürdig wird es jedoch, wenn Titel entweder nicht auf Anhieb als Wikipedia-basiert zu erkennen sind oder trotz Hinweis auf die Wikipedia nicht hinreichend klargestellt wird, dass erstens wirklich nur Wikipedia-Artikel unverändert übernommen werden und zweitens die Zusammenstellung automatisiert ohne ernstzunehmende redaktionelle Kontrolle erfolgt. Diese beinah willkürliche Zusammenstellung lässt sich nachvollziehen, wenn man aus obigem Beispiel den Wikipedia-Artikel “Punched Cards” aufruft, indem im Bereich “See also” weitere Artikel referenziert werden:
Verglichen mit dem eingehend genannten Buchtitel “Punched Card: Card Image, Computer Programming in the Punch Card Era, History of Computing Hardware, Paper Data Storage, Herman Hollerith” ist die Vorgehensweise der Artikelzusammenstellung evident. Mit der passenden Schriftgröße und ein paar Abbildungen kommt man da auch schnell auf die 88 Seiten des Buches, die mit EUR 34,- sicher mehr als nur überteuert sind. Aber altertnativ kann man es natürlich mit dem Buch “Unit Record Equipment: Tabulating Machine, Computer, Computer Data Processing, Punched Card, Flowchart
Mittlerweile ist die Arbeitsweise von Betascript Publishing offenbar verbessert worden: Buchtitel sind kürzer und wirken damit professioneller: Das 72-seitige Buch zu Xpages, einer Design-Software, heißt lediglich “Xpages
Da bereits sechs Bücher gebraucht verkauft werden, ist wohl der ein oder andere bereits auf die Masche reingefallen. Man kann nur hoffen, dass zumindest das deutsche Rückgaberecht hier dem Verlag den deutschen Markt unattraktiv macht. Es sicher nur eine Frage der Zeit bis ein Verlag wie Gamma- oder Delta-Script Inhalte der deutschen Wikipedia dubios verkauft. Ein Riegel könnte hier eventuell das in Deutschland notwendige Pflichtexemplar für die Deutsche Nationalbibliothek sein, das bei zehntausenden Büchern ein Wehrmutstropfen für den “Verleger” sein dürfte.
Unklar ist, warum Amazon bisher nicht spürbar eingegriffen hat. Es gab wohl mehrere Anfragen (siehe auch weitere Quellen unten), die Anzahl der entsprechenden Publikationen im Katalog aber steigt. Eine Suche im Amazon-Katalog präsentiert sie entsprechend normal als Treffer. Ein Aufblähen dieses Katalogs mit belanglosen Zusammenstellungen weicht die Qualität der Suchtreffer und man fragt sich als Amazon-Kunde, warum man hier nicht besser vor einer ganz offensichtlich dubiosen Masche geschützt wird.
Einen Vorteil hat die Betascripting-Schwemme ja: Sie führt die Diskussion um die qualitativen Vorzüge gedruckter Werke final ad absurdum. Der Verlag zeigt erstens, wie beliebig mittlerweile das Drucken von ISBN-notierten Werken ist, von denen vielleicht nur ein Exemplar jemals einen Kunden erreicht, und zweitens, dass nur die Materialität eines Textes nichts über dessen Zitierfähigkeit aussagt. Für den geplagten Studenten liegt plötzlich nahe, einfach die gewünschten Artikel für eine wissenschaftliche Arbeit einmal zusammenzustellen und auszudrucken… (zum Beispiel bei pediapress.com)
Weitere Informationen zum Thema:
- Wikipedia-Artikel zu “VDM Publishing”, der Firma hinter Betascript: http://de.wikipedia.org/wiki/VDM_Publishing
- Hinweis auf Slashdot, dass die entsprechenden Publikationen bereits einen ernstzunehmenden Anteil des Amazon-Katalogs ausmachen: http://news.slashdot.org/story/10/04/03/2112203/Print-On-Demand-Publisher-VDM-Infects-Amazon
- englischer Blog-Artikel zum Thema: http://www.chrisrand.com/blog/index.php/2010/02/27/odd-tale-alphascript-publishing-betascript-publishing/
- Problematisierung auf wikipedia.org: http://en.wikipedia.org/wiki/User:PrimeHunter/Alphascript_Publishing_sells_free_articles_as_expensive_books
Zu dem Buch: Adolf Schöner ein Luftfahrtpionier
Auf den paar Zeilen auf dem Cover sind mehr Fehler wie in dem Von mir abgschriebenem Tagebuch meines Onkels. Warum setzen sich die s.g. Herausgeber mit den leuten zusammen die die Originalunterlagen besitzen. Da wird doch vieles bewußt oder unbewußt verfälscht und das unter dem Namen meines Onkels
HAHAHA
Darf von betascript publishing auch ein Buch über Personen (Buchtitel ist der Name einer aktuell bekannten Person) herausgegeben werden ohne diese selbst um Genehmigung zu fragen?